Wandern auf den Spuren der Schwabenkinder
22.08.2012 | Bauernhaus-Museum Allgäu-Oberschwaben Wolfegg
Es ist ein sengend heißer Tag im August. Es ist die Zeit der Getreideernte. Wenn das Getreide reif war, wurden die Halme mit der Sense knapp über der Erde abgemäht. Eine äußerst schweißtreibende Arbeit die meist die Männer verrichteten. Die Frauen nahmen die abgeschnittenen Halme vom Boden auf und formten daraus Bündel. Geschickt knoteten sie einige Halme um die Mitte des Bündels. So entstanden diese Garben. Zum Trocknen wurden die Garben so aufgereiht, dass die Ähren nach oben wiesen. Oft machten Kinder diese Arbeit. So geschah dies zu Zeiten, wo sich Mauriz Richard Derungs als 10-Jähriger 1891 in Hofstatt verdingte. Sechs Kinder der Familie Derungs kamen zwischen 1891 und 1896 als sogenannte Schwabenkinder in die Gemeinden Wolfegg und Vogt. Es ist heute kaum mehr vorstellbar, wie die Kinder die 180 Kilometer von ihrem Heimatort Vellla, in Graubünden, nach Wolfegg gelangten. Zunächst zu Fuß nach Illanz und weiter nach Chur. Ab hier vermutlich teilweise mit der Bahn, dazwischen immer wieder weite Fußmärsche. Mit dem Schiff setzten sie von Romanshorn oder Bregenz nach Friedrichshafen über und von dort ging es entweder mit der Bahn oder dem Fuhrwerk weiter nach Wolfegg.
Der neue Schwabenkinder-Wanderweg
Heute ist es wieder so ein sengender Augusttag. Der Sinn steht eher nach einem kühlen Bade im nahen Bodensee, denn nach Arbeit und Entbehrung. Dennoch, eine Schar Wanderer – knapp 60 an der Zahl, hat sich am Bahnhof zu Wolfegg eingefunden, um sich auf die Spuren von Mauriz Richard und seine Geschwistern zu begeben. „Womöglich hat der Dienstherr hier die Kinder mit dem Fuhrwerk abgeholt ...“ mutmaßt Christine Brugger, Historikern und Kuratorin der Ausstellung „Die Schwabenkinder“, die diese Exkursion fachkundig begleitet. Die Idee zu diesem neuen „Schwabenkinder-Wanderweg“ entstand im Zuge der Überlegungen zur Erreichbarkeit der Ausstellung im Bauernhaus-Museum mit öffentlichen Nahverkehrsmitteln. In enger Kooperation mit der Gemeinde Wolfegg und Bodo (Bodensee Oberschwaben Verkehrsverbund), reifte dann schnell ein Konzept zu diesem speziell markierten Schwabenkinder-Wanderweg vom Bahnhof hinunter zur Ausstellung ins Bauernhaus-Museum.
Am Sonntag den 19. August , gegen 11.30 Uhr, wurde dieser Wanderweg von Stv. Bürgermeister Gerold Heinzelmann und Museumsleiter Stefan Zimmermann offiziell seiner Bestimmung übergeben. Letzterer lobte in seiner Grußbotschaft vor allem das enge Miteinander der beteiligten Akteure, die dieses Projekt innert kürzester Zeit auf den Weg brachten.
Die Route wurde nach historischen Gesichtspunkten so gewählt, dass sie an zwei ehemaligen Arbeitsstätten von Schwabenkindern vorbei führt. Am Weg und an den ehemaligen Dienstplätzen, in Hofstatt und in Schlegelsberg, weisen Texttafeln auf dieses sozialgeschichtliche Phänomen der saisonalen Arbeitsmigration aus dem Alpenraum in unsere Region hin. Weiters finden sich auf diesen Hinweistafeln interessante Details zu den Kindern, die an diesen Dienstorten in Lohn und Brot standen.
Auf der sieben Kilometer langen und knapp zwei Stunden währenden Wanderung erhielten die Teilnehmer wertvolle Einblicke in die Lebenswelt und den Alltag der kleinen Saisonarbeiter auf den oberschwäbischen Höfen. Sympathisch und verständlich vermittelt durch Christine Brugger und Stefan Zimmermann. Zwei Menschen, so scheint es, die dieses Projekt leben. Eine spannende, aber auch berührende, kleine Zeitreise, die die wackere Wanderschar, der sengenden Sonne zum Trotze, wohlgefällig goutierte. Im übrigen genauso wie auch die Brotzeitstation, an der die Leiterin der Wolfegg Information, Vanessa Ramsauer höchstpersönlich den Gästen Getränke und kleine Stärkungen reichte.