Daheim in Vals
Der Ort Vals in Graubünden lag lange Zeit von der Außenwelt abgeschlossen, da das Tal nur durch eine enge und bewaldete Schlucht zu erreichen war. Lediglich ein gefährlicher Fußpfad verband das Lugnez mit Vals. Auch die Sprache bildete eine Barriere zwischen den deutschsprachigen Valsern und den romanisch sprechenden Bewohnern der umliegenden Dörfer. Erst 1881 wurde die erste fahrbare Straßenverbindung talauswärts gebaut. Jacob Stoffel kannte die Geschichten aus dem Schwabenland, auch wenn zu seiner Zeit nur noch wenige Kinder aus Vals den Sommer über auswanderten. Er war neugierig auf das ferne Land und meldete sich bei der Führerin, genannt Badstina, die alljährlich die Kinder ins Schwabenland brachte, an. Als Reisegeld musste er 5 Franken deponieren. Aber so einfach war der Abschied doch nicht: „Der kranken Mutter fiel es aber sehr schwer, ihr jüngstes Kind so jung in die Fremde reisen zu lassen“, erzählte er später.
Auf dem Weg in die Fremde
Jacob machte sich Anfang April 1896 auf den Weg. Am Vortag hatte seine Schwester noch ein kleines Bündel mit seinen Habseligkeiten gepackt. Zuerst führt ihn der Weg – zusammen mit der Badstina und anderen Kindern – nach Ilanz. Dort staunte er nicht schlecht über die Auslagen der Geschäfte mit all ihren unterschiedlichen Waren. Zu Fuß, mit Muskelkater und wunden Füßen erreichte die Gruppe am nächsten Tag Chur, wo am dortigen Bahnhof die Eisenbahn wartete. Ein besonderes Erlebnis für Jacob war die Zugfahrt bis Maienfeld: „Die Ortschaften der Bündner Herrschaft flogen vor unsren Augen vorüber“. Weiter ging die Reise über Bregenz ins Allgäu, dieses Mal wieder zu Fuß. Übernachtungsmöglichkeiten fand die Gruppe entweder bei Bekannten der Führerin oder in einer Gastwirtschaft. Dort wurden die Kinder verpflegt: „Hungrig löffelten wir gemeinsam aus den großen Schüsseln, das erste Hafermus meines Lebens“.
Vermittlung an die Bauern
Der Weg führte Jacob von Bregenz aus direkt ins Allgäu – nicht über den Hütekindermarkt in Friedrichshafen oder Ravensburg. In den Ortschaften dort wurden überall Kinder aus seiner Gruppe an Bauern abgegeben. Diejenigen, die im Vorjahr bereits im Schwabenland waren, gingen wieder zum selben Bauern und „andere waren schon im letzten Herbst bei der Führerin „bestellt“ worden“. Der Lohn wurde immer mit der Führerin abgemacht: das doppelte Häs und zwischen 10 und 100 Mark Geldlohn, je nach Arbeit und Leistung. Auch Jacobs Stelle stand schon fest: Er kam zu einem Bauern in Niederwangen. Er war der letzte der Gruppe, der nach einem strengen Fußmarsch von der Führerin dort abgeliefert wurde.
Bei den Bauersleuten im Allgäu
Jacob wurde von den Bauersleuten freundlich willkommen geheißen. Am nächsten Morgen begann die Arbeit, hauptsächlich hatte er mit dem Vieh zu tun: „Täglich musste ich die Tiere bei starker Sommerhitze putzen. Zwölf Kühe und drei Stück Jungvieh gaben eine große Arbeit“. Bei der Heu- und Getreideernte im Sommer war Jacobs Hilfe ebenfalls gefragt. Auch bei der Obsternte und dem darauffolgenden Mosten im Herbst musste er Hand anlegen. Und beim Einmachen des Sauerkrauts war er es, der mit bloßen Füßen in das Krautfass stieg, um es zu stampfen. Daneben blieb ihm immer noch die Aufgabe, das Vieh morgens früh um 5 Uhr auf die Weide zu treiben: „So flog die Zeit in strenger Arbeit vorüber. Mußestunden oder Zeit zum Spielen gab es nicht“. Am 20. Oktober brach Jakob nach fast 7 Monaten im Allgäu wieder nach Hause auf ins 160 km entfernte Vals.