Daheim in Schnifis
Regina Lampert stammte aus Schnifis, einem kleinen Ort im Walgau zwischen Feldkirch und Bludenz, in dem damals etwa 400 Leute wohnten. Regina war das fünfte Kind der Familie. Zwei jüngere Geschwister folgten noch. Ihre Eltern Augustina und Johann Anton waren arm und übten alle möglichen Berufe aus, um die Familie zu ernähren. Die Lamperts wohnten auf einem kleinen Hof, der auf zwei Familien aufgeteilt war, in sehr beengten Verhältnissen. Im Stall stand etwas Vieh und der Vater betrieb nebenbei eine Werkstatt als Kübler (Fassbinder). Die Mutter und die Kinder stellten als Zubrot kleine mit Glanzpapier bezogene Spanschächtelchen her, die in Apotheken nach Feldkirch geliefert wurden. Aber trotzdem reichte das Auskommen nicht für die ganze Familie und jedes Jahr musste mindestens eines der sieben Kinder während des Sommers auf einem Bauernhof in Oberschwaben arbeiten. 1864 trat Regina als 10-jähriges Mädchen zum ersten Mal die Reise ins Ungewisse an.
Auf dem Weg in die Fremde
Am 17. März 1864, morgens um 6 Uhr war Abmarsch. „Es war recht kalt und hat über Nacht fest geschneit, es war alles weiß, als wir vors Haus kamen und ins Dorf hinauf“, erzählt Regina Lampert über jenen Morgen. Ihr Vater begleitete die Kindergruppe – 15 Kinder aus Schnifis und den umliegenden Dörfern – nach Oberschwaben. Mit dem Fuhrwerk ging´s von Schnifis nach Feldkirch und von dort zu Fuß weiter. Nach mehreren Stunden Fußmarsch erbarmte sich ein Fuhrmann der Kinder und nahm sie mit bis Dornbirn. Dort konnten alle in einer Herberge im großen Saal auf dem Boden auf Strohsäcken übernachten und bekamen auch noch einen Teller Suppe, Wurst und Brot zu essen. Am nächsten Tag ging´s weiter nach Bregenz. Dort wartete das Schiff. Erst der Vater konnte Regina beruhigen, als sie zum ersten Mal das große Schiff und den für sie unendlich scheinenden Bodensee sah. Die Angst wich aber bald der Neugier: „Bald kamen wir in den Hafen von Rorschach und dann nach Lindau, wo der große Löwe auf dem hohen Turm vor Lindau war, eine Überraschung nach der andern“.
Hütekindermarkt in Ravensburg
In Friedrichshafen am Hafen angekommen warteten bereits die ersten Bauern auf die Kinder. Manche Buben kannten ihre Dienstgeber schon aus dem Vorjahr und wurden von ihnen abgeholt. Für Regina ging die Reise weiter nach Ravensburg, dieses Mal mit der Eisenbahn. Dort fand an Josefi (19. März) der Hütekindermarkt statt: „Es waren noch mehr Buben und Mädchen da, auch Bauern und eine Bäuerin waren da. Die großen Buben konnten schon selbst mit den Bauern verhandeln. Je nach Größe und Stärke bekamen sie Lohn für den ganzen Sommer“. Bis kurz vor Schluss fand sich kein Bauer, der Regina in Dienst nehmen wollte. Sie hoffte schon, dass der Vater sie wieder mit nach Hause nehmen würde. Aber dann kam doch noch ein Bauer, der ein Hütekind für die Gänse benötigt oder für verschiedene kleine Arbeiten auf dem Hof und in der Küche. Und so wurde der Vertrag per Handschlag mit Reginas Vater vereinbart. Die Kinder auf dem Markt verabschieden sich alle; erst am Martinitag (11. November) werden sie sich zur Heimreise wieder treffen.
Bei der Bauernfamilie am Bodensee
Bei der Bauernfamilie in Berg bei Friedrichshafen wartete auf Regina harte Arbeit, aber auch so manch Spannendes: 90 Gänse galt es täglich auf die Weide zu treiben und zu hüten, was gar nicht so einfach war. Damit Regina beim Kochen überhaupt an die Töpfe kam, baute ihr der Knecht einen Schemel rundum den Herd. Im Sommer mussten alle bei der Ernte mit anpacken, auch Regina, so dass an vielen Tagen der Schlaf viel zu kurz kam. Von einem ganz besonderen Erlebnis berichtete Regina Lampert während des Sommers in Oberschwaben: Sie begegnete dem württembergischen König Karl I., dessen Sommerresidenz sich in Friedrichshafen befand. Regina wurde an den Hof eingeladen und bekam dort neue Kleidung. Auch wenn sich Regina Lampert bei der Bauernfamilie recht wohl fühlte, plagte sie das Heimweh an manchen Tagen doch sehr: „Träne auf Träne kamen, so hatte ich Heimweh.“ In den darauffolgenden Jahren kam Regina Lampert jeden Sommer als Schwabenkind zu denselben Bauersleuten.